Als leidenschaftlicher Beobachter der deutschen Gastronomieszene erfüllt es mich mit Begeisterung zu sehen, wie sich ein Wandel vollzieht. Nachhaltigkeit ist längst kein Nischenthema mehr, sondern entwickelt sich zum Herzstück vieler Restaurants und Cafés. Immer mehr Betriebe erkennen ihre Verantwortung und die Chance, aktiv zum Klimaschutz beizutragen. Es geht dabei um weit mehr als nur Bio-Zutaten – es ist eine Bewegung, die die Art, wie wir essen und genießen, neu definiert und zeigt, wie Genuss und Verantwortung Hand in Hand gehen können. Diese Entwicklung ist nicht nur gut für unseren Planeten, sondern bereichert auch die kulinarische Landschaft Deutschlands.
Die Speisekarte als Kompass für das Klima
Wer hätte gedacht, dass die Gestaltung einer Speisekarte einen messbaren Einfluss auf den CO2-Fußabdruck eines Restaurants haben kann? Doch genau das belegen aktuelle Studien eindrücklich. Forscher, unter anderem in einer Studie der Universität Würzburg, fanden heraus, dass schon kleine Anpassungen das Wahlverhalten der Gäste signifikant in Richtung klimafreundlicher Optionen lenken können. In einem Online-Experiment wurden 265 Freiwillige mit Menüs verschiedener Restauranttypen konfrontiert, von italienisch bis Döner. Dabei zeigten sich zwei besonders wirksame Methoden:
CO2-Kennzeichnung als Entscheidungshilfe
Erstens führt die transparente Kennzeichnung des CO2-Fußabdrucks einzelner Gerichte – ähnlich wie bei Allergenen, vielleicht mit einer einfachen Farbcodierung (grün für niedrig, rot für hoch) – dazu, dass Gäste bewusster wählen. Allein durch solche Labels konnten durchschnittlich 200 Gramm CO2 pro Bestellung eingespart werden. Diese Transparenz hilft Gästen, die Klimakrise auch bei einer so alltäglichen Entscheidung wie der Essenswahl zu berücksichtigen.
Die Macht der Standardoption (Default Shift)
Zweitens beeinflusst die Voreinstellung, die sogenannte ‘Default’-Option, unsere Entscheidung maßgeblich. Wurde beispielsweise bei einem Couscous-Salat die emissionsärmste Falafel-Variante als Standard angeboten (statt Rindfleisch oder Schawarma), griffen die Gäste deutlich häufiger zu dieser klimafreundlicheren Alternative. Dieser Kniff, auch ‘Default Shift’ oder Veränderung der Standardoption genannt, sparte sogar durchschnittlich 300 Gramm CO2 pro Bestellung ein. Diese Erkenntnisse, die auch durch ähnliche Forschung, etwa an der Universität Kopenhagen in Kooperation mit einem schwedischen Restaurant, bestätigt werden, zeigen: Restaurants können durch geschicktes ‘Nudging’, also sanftes Anstupsen in eine bestimmte Richtung, einen echten Unterschied machen, ohne die Wahlfreiheit einzuschränken. Es ist faszinierend, wie psychologische Effekte und soziale Normen hier zusammenspielen: Die Kennzeichnung signalisiert, dass Klimaschutz auch bei der Essenswahl relevant ist, und die Standardoption suggeriert, was ‘normal’ oder empfohlen ist, wie Experten für Verhaltensökonomie erklären. Die Gestaltung der Speisekarte wird so zur ‘Entscheidungsarchitektur’.
Nachhaltige Zutaten – Der Geschmack der Verantwortung
Die Reise zu einem nachhaltigen Restaurant beginnt lange vor dem ersten Kochlöffelschwung – nämlich beim Einkauf. Die Herkunft und Produktionsweise unserer Lebensmittel haben einen enormen Einfluss auf Klima und Umwelt. Schließlich ist unser Ernährungssystem für einen erheblichen Anteil der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – Schätzungen reichen bis zu 37 Prozent. Nachhaltig arbeitende Betriebe übernehmen hier Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt.
Regionalität und Saisonalität als Schlüssel
Regionale und saisonale Produkte sind Schlüsselwörter, die ich immer wieder mit Freude auf Speisekarten entdecke. Sie bedeuten nicht nur kürzere Transportwege und damit geringere Emissionen, sondern stärken auch die lokale Wirtschaft und ermöglichen oft eine engere Beziehung zwischen Koch und Erzeuger. Viele engagierte Gastronomen, wie die aktuell 79 Mitglieder der Slow Food Chef Alliance in Deutschland, legen größten Wert darauf, ihre Lieferanten persönlich zu kennen und die Qualität und Anbaumethoden nachvollziehen zu können.
Bio-Qualität, artgerechte Haltung und Biodiversität
Bio-Anbau und artgerechte Tierhaltung sind weitere wichtige Bausteine. Besonders der hohe CO2-Fußabdruck von Fleisch, insbesondere Rindfleisch, rückt immer stärker ins Bewusstsein. Ein einziges 200g-Steak kann ähnliche Emissionen verursachen wie eine Autofahrt von 20 bis 50 Kilometern! Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Ernährung laut WWF auch einen erheblichen Einfluss auf die Artenvielfalt hat, wobei tierische Produkte den Löwenanteil (77 Prozent) am Biodiversitäts-Fußabdruck ausmachen. Eine bewusste Auswahl, die auch ökologische und faire Produktionsbedingungen berücksichtigt, ist daher entscheidend.
Der Trend zu pflanzenbasierten Gerichten
Die gute Nachricht: Pflanzliche Gerichte haben eine deutlich bessere Klimabilanz und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Der Trend zu vegetarischer, veganer und flexitarischer Ernährung ist unübersehbar – in Deutschland ernähren sich bereits rund 6 Prozent vegetarisch oder vegan, Tendenz steigend, und die Gruppe der Flexitarier wächst. Schon 2017 gab es fast 170 rein vegane Gastronomiebetriebe in deutschen Städten. Dies bietet Restaurants die Chance, kreative, köstliche und gleichzeitig umweltfreundliche Alternativen anzubieten und damit neue Gästegruppen zu erschließen.
Ressourcen schonen – jeden Tag
Nachhaltigkeit in der Gastronomie endet nicht bei der Auswahl der Zutaten. Mindestens genauso wichtig ist der bewusste Umgang mit Ressourcen im täglichen Betrieb. Hier geht es um einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Bereiche des Betriebs umfasst.
Energie- und Wassereffizienz in der Küche
Energieeffizienz in der Küche, etwa durch moderne Geräte oder den Einsatz erneuerbarer Energien, und ein sparsamer Wasserverbrauch sind entscheidende Faktoren. Nachhaltige Konzepte berücksichtigen den schonenden Umgang mit Energie, Wasser und sonstigen Ressourcen als festen Bestandteil.
Kampf gegen Lebensmittelverschwendung
Ein Bereich, der mir besonders am Herzen liegt, ist die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Es ist schmerzlich zu sehen, wie viel wertvolle Nahrung oft ungenutzt bleibt, obwohl bereits viel Energie in ihre Produktion geflossen ist. Hier sehe ich großes Potenzial für Kreativität: Eine ganzheitliche Verwertung von Lebensmitteln (‘Nose-to-Tail’ oder ‘Leaf-to-Root’), clevere Menüplanung und effektives Abfallmanagement können nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch Kosten senken. Initiativen wie die „Beste-Reste-Box“, die von Netzwerken wie Greentable im Rahmen der Kampagne „Restlos genießen“ gefördert wird, helfen dabei, Übriggebliebenes für Gäste mitzunehmen und so Abfall zu vermeiden.
Verpackungsmüll reduzieren und Mehrweg fördern
Auch die Vermeidung von Einwegverpackungen und die Förderung von Mehrwegsystemen, zum Beispiel durch Pfandsysteme wie beim prämierten Restaurant Ronja in Mülheim (Gewinner des METRO Preises 2023), sind wichtige Schritte. Instrumente wie der DEHOGA Umweltcheck, der oft als Teil von Auszeichnungen wie dem METRO Preis vergeben wird, bieten Betrieben zudem eine systematische Möglichkeit, ihren Ressourcenverbrauch zu analysieren und Optimierungspotenziale aufzudecken. Dieser Check hilft, das betriebliche Umweltengagement transparent zu bewerten.
Grüner Erfolg – Wie Nachhaltigkeit überzeugt
Die Umstellung auf nachhaltige Praktiken ist nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern zunehmend auch ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Das Bewusstsein der Gäste für Umwelt- und Klimaschutz wächst stetig.
Verbraucherwunsch als Motor
Studien, wie die von CGA by NIQ, zeigen deutlich: Nachhaltigkeit beeinflusst die Entscheidungen der Verbraucher maßgeblich. Eine signifikante Mehrheit von 57 % der deutschen Konsumenten gibt an, dass der Kauf von Lebensmitteln und Getränken aus nachhaltigen und ethisch verantwortlichen Betrieben für sie Priorität hat. Besonders wichtig sind dabei lokale Produktion (von 41 % der Befragten genannt), Abfallreduzierung (38 %) und Recycling (37 %). Die Bereitschaft, für solche Angebote auch mehr zu bezahlen, ist bei über einem Drittel der Gäste vorhanden. Das eröffnet Restaurants die Möglichkeit, in Qualität und Nachhaltigkeit zu investieren und sich damit von der Konkurrenz abzuheben.
Transparenz und Auszeichnungen schaffen Vertrauen
Entscheidend ist dabei die transparente Kommunikation: Gäste möchten wissen, woher die Produkte stammen und welche Maßnahmen das Restaurant für mehr Nachhaltigkeit ergreift. Die Information und Einbindung von Mitarbeitenden und Gästen ist ein wichtiger Baustein nachhaltiger Konzepte. Auszeichnungen wie der METRO Preis für nachhaltige Gastronomie (der Kriterien wie Einkauf, Abfall, Ressourcen und Einbindung bewertet und inzwischen Teil des neuen METRO GastroPreises ist) oder das Nachhaltigkeitssymbol, der Grüne Stern im Guide MICHELIN (mit dem bereits bei Einführung 18 Restaurants in Deutschland ausgezeichnet wurden), helfen dabei, das Engagement sichtbar zu machen und Vertrauen aufzubauen. Sie würdigen Vorreiter wie das vegetarisch-vegane Restaurant Ronja (Gewinner des METRO Preises 2023), das „lauschig lokal“ in Flensburg (2. Platz 2023) oder das Kopps in Berlin (3. Platz 2023) und inspirieren die gesamte Branche, diesen Weg mitzugehen.
Gemeinsam stärker – Netzwerke und Helfer
Kein Restaurant muss den Weg zur Nachhaltigkeit alleine gehen. In Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von Netzwerken, Initiativen und Werkzeugen, die Unterstützung bieten und den Wandel gemeinsam vorantreiben.
Starke Netzwerke für den Austausch
Organisationen wie Greentable e.V., das 2025 sein 10-jähriges Bestehen feiert und über 270 Mitglieder zählt, oder die bereits erwähnte Slow Food Chef Alliance fördern den Austausch von Wissen und Best Practices unter Gastronomen. Sie bieten Plattformen wie den „Gastro for Future Online-Summit“, um voneinander zu lernen, Herausforderungen gemeinsam zu meistern und nachhaltige Konzepte weiterzuentwickeln. Solche Netzwerke sind entscheidend, um die Bewegung in die Breite zu tragen.
Digitale Werkzeuge als Unterstützung
Digitale Werkzeuge wie die „KlimaTeller“-App, entwickelt von eaternity in Kooperation mit Greentable und NAHhaft und unterstützt vom Bundesumweltministerium im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI), ermöglichen es Köchen, den CO2-Fußabdruck ihrer Gerichte präzise zu berechnen (Ziel: unter 800g CO2 pro Gericht) und so gezielt klimafreundliche Menüs zu entwickeln. Solche Tools schaffen Transparenz und machen Nachhaltigkeit messbar.
Bildung und Forschung als Fundament
Darüber hinaus spielen Bildungsprojekte wie „GastroINKLUSIV“, das inklusive Lernmaterialien für Auszubildende entwickelt, oder Forschungsvorhaben wie „KlimaFood“ (Teil der IN FORM Initiative der Bundesregierung) und das BMBF-geförderte „Food-PlanetH“ eine wichtige Rolle. Sie vermitteln Wissen über klimafreundliche Ernährung und nachhaltige Ernährungsumfelder, untersuchen politische Rahmenbedingungen und Kennzeichnungssysteme und legen so die Grundlagen für eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems, von der auch die Gastronomie profitiert. Diese vielfältigen Unterstützungsangebote zeigen, dass der Wandel hin zu einer nachhaltigeren Gastronomie eine Gemeinschaftsaufgabe ist.
Ein Geschmack von Morgen – Die grüne Zukunft der Gastronomie
Die Reise der deutschen Gastronomie hin zu mehr Nachhaltigkeit ist in vollem Gange, und ich finde es unglaublich spannend, diesen Wandel mitzuerleben. Es ist mehr als nur ein Trend – es ist eine grundlegende Neuausrichtung, die von innen heraus wächst, angetrieben von engagierten Gastronominnen und Gastronomen, und gleichzeitig von einer immer bewusster werdenden Kundschaft eingefordert wird. Die Beispiele zeigen: Klimaschutz und herausragender Genuss schließen sich nicht aus, sondern können sich gegenseitig beflügeln. Ob durch eine clever gestaltete Speisekarte, die sorgfältige Auswahl regionaler Zutaten, die Vermeidung von Abfällen oder die transparente Kommunikation – die Möglichkeiten für Restaurants, einen positiven Beitrag zu leisten, sind vielfältig. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig die Freude am Essen und an der Gastfreundschaft zu zelebrieren. Die deutsche Gastronomieszene beweist eindrucksvoll, dass sie bereit ist, diese Herausforderung anzunehmen und die Zukunft des Genusses nachhaltig zu gestalten. Das ist nicht nur gut für unseren Planeten, sondern verspricht auch eine noch vielfältigere, bewusstere und letztlich köstlichere kulinarische Landschaft für uns alle.